Mittwoch, 3. Dezember 2025

Ein System - das den Menschen aus den Augen verloren hat

Deutschland steht vor einem Problem, das nicht nur strukturell,
sondern tief kulturell verankert ist. 

Es betrifft die Art, wie Verwaltung, Bürokratie und politische Entscheidungen miteinander verwoben sind zu einem Geflecht, das den Alltag der Menschen durchdringt – insbesondere dort, wo sie am verletzlichsten sind. Die eigentlich kleinen Dinge, jene Details, mit denen Bürgerinnen und Bürger täglich konfrontiert werden, wurden im Lauf der Zeit in eine „Governance“ gegossen, die mehr Last als Ordnung darstellt. Aus Regelung wurde Überregulierung, aus Orientierung eine Art von technokratischer Überforderung.

Das zentrale Paradox: Gerade denjenigen, die ohnehin wenig haben, wird der größte Präzisionsdruck auferlegt. Im Bereich des Bürgergelds etwa wird in Centbeträgen gerechnet, als ginge es um die Feinjustierung eines milliardenschweren Konzerns. Ein kleines Fehlverhalten, ein vergessener Termin, eine unachtsame Meldung – all das kann bereits existenzielle Sanktionen auslösen. 

Menschen, die sich in schwierigen Lebenslagen befinden,
die oft mit Chaos, Krankheit, Angst oder struktureller Benachteiligung kämpfen,
werden durch diese Maschinerie noch weiter zermürbt. 

Und genau das, was das System ihnen selbst aufzwingt – Orientierungslosigkeit, Überforderung, das Gefühl, nichts mehr „geregelt“ zu bekommen – wird anschließend moralisch gegen sie verwendet. Es entsteht ein Kreislauf der Schuldzuweisung, der Menschen stigmatisiert, entmutigt und alle Möglichkeiten entzieht.

Im Großen jedoch herrscht eine andere Logik. Dort, wo es um Millionen und Milliarden geht, wo Fehler oder Vergehen das Gemeinwesen wirklich erschüttern könnten, verschwinden Verantwortlichkeiten im Nebel. Große Finanzskandale enden oft ohne nennenswerte Konsequenzen. Behörden, die zu genau hinsehen wollen, werden ausgebremst oder verlieren Personal. Was im Kleinen pedantisch verfolgt wird, wird im Großen als „systemrelevant“ unter den Teppich gekehrt. Die Asymmetrie könnte kaum größer sein: Während digitale Überwachungssysteme installiert werden, um jeden 5-Euro-Vorteil im Alltag der Bedürftigsten zu sanktionieren, bleibt der Milliardenbereich ein Terrain, in dem diffuse Zuständigkeiten und politisches Desinteresse Realitäten schaffen.

Diese strukturelle Schieflage ist mehr als nur ein verwaltungstechnisches Problem. Sie ist Ausdruck eines kulturellen Verlusts: des Verlusts eines menschenzentrierten Denkens. Das Ideal, Verwaltung solle den Bürgern dienen, wurde ersetzt durch eine Logik, in der Bürger zu Objekten, zu Risiken, zu zu überwachenden Einheiten werden. Man begegnet ihnen mit Misstrauen, während man großen Akteuren mit Wohlwollen und Nachsicht begegnet, als seien ihre Fehler weniger moralisch oder weniger zerstörerisch.

Ein System, das Menschen an seiner Basis bricht,
bricht am Ende sich selbst.
 

Gerade jene, die heute von übermächtigen Strukturen profitieren oder sich mit Milliarden begünstigt fühlen, sitzen letztlich auf demselben bröckelnden Fundament. Eine Gesellschaft kann nicht stabil bleiben, wenn sie Gerechtigkeit nur nach oben relativiert und nach unten maximal durchsetzt. Die Schieflage wird irgendwann auch jene erfassen, die sich jetzt im Schutz der wirtschaftlichen und politischen Macht wähnen.

Wenn wir diesen Trend nicht erkennen und korrigieren,
verlieren wir nicht nur Gerechtigkeit,
sondern auch Menschlichkeit, Vertrauen
und den inneren Zusammenhalt. 

Die Verhältnismäßigkeit muss zurückkehren: im Handeln der Behörden, in der politischen Gestaltung, in den moralischen Maßstäben, die wir anwenden. Der Mensch muss wieder Ausgangspunkt und Zielpunkt sein – nicht eine abstrakte Governance, die nur noch sich selbst verwaltet.

Die Krise liegt nicht im Mangel an Regeln, sondern im Verlust des Maßes. Und Maß entsteht erst dort, wo man wieder hinsieht: auf die Lebensrealitäten der Menschen, auf das Verhältnis von Verantwortung und Macht, auf die Frage, was eine gerechte Gesellschaft im Kern zusammenhält. Solange wir das nicht tun, geraten wir weiter aus den Fugen – und reißen jene mit, die glauben, unerschütterlich über allem zu stehen.

2025-12-03

Montag, 1. Dezember 2025

Gewalt ist keine Lösung

Die Einteilung in „rechts“ und „links“ — wie wir sie politisch verstehen — wurzelt historisch in der Zeit der Französischen Revolution. Damals setzten sich in der Nationalversammlung die Anhänger von radikalen, revolutionären Ideen links an, während eher konservative, monarchistisch oder traditionalistisch orientierte Kräfte rechts saßen. Seitdem prägte dieses Schema das Verständnis politischer Orientierung

links“ bedeutete in der Regel Reform, Fortschritt, soziale Gerechtigkeit

rechts“ stand oft für Bewahrung, Ordnung, Hierarchie

Doch die Welt hat sich gewandelt. Gesellschaften sind komplexer geworden, politische Themen vielfältiger — die alten Begriffe reichen oft nicht mehr aus, um die tatsächlichen Haltungen und Dynamiken abzubilden.

Heute stellt sich die Frage: Spiegelt das Schema „rechts vs. links“ noch die Wirklichkeit? Man könnte argumentieren, dass es zunehmend unzureichend ist — weil viele politische Strömungen, Haltungen und Überzeugungen sich nicht mehr klar diesem traditionellen Raster zuordnen lassen. Stattdessen kann eine neue, vielleicht sinnvollere Einteilung lauten: „sozial und dem Leben zugewandt“ versus „asozial oder dem Leben abgewandt“; oder „demokratiezugewandt“ versus „gegen demokratische Prinzipien“. Diese Neuverortung versucht, moralisch-politische Dimensionen und Grundhaltungen in den Vordergrund zu stellen, statt alte ideologische Kategorien, die zunehmend verschwimmen.

Ein sehr konkretes aktuelles Beispiel dafür liefert das, was sich gestern in Gießen ereignet hat: Im Zusammenhang mit der Gründung der neuen Jugendorganisation der Alternative für Deutschland (AfD) kam es zu Massendemonstrationen und teils gewalttätigen Ausschreitungen. Laut Berichten nahmen etwa 25.000 Personen an Protesten teil — die Polizei spricht von überwiegend friedlichen Demonstrationen, es gab jedoch vereinzelt erhebliche Krawalle mit Stein- und Flaschenwürfen sowie pyrotechnischen Gegenständen. Einsatzkräfte setzten Pfefferspray und Polizeistöcke ein. Vgl. Gießener Allgemeine Zeitung Pfalz-Express  - - Giessener Anzeiger  
Auf der anderen Seite werfen Demonstrierenden dem Polizeieinsatz „massive“ und „willkürliche Gewalt“ vor. FR.de Dieses Ereignis zeigt eindrücklich, wie schmal der Grat geworden ist zwischen politischem Protest, legitimen demokratischen Ausdrucksformen — und dem Abrutschen in Gewalt, Konfrontation, Radikalisierung.

In diesem Zusammenhang gilt: 

Gewalt ist keine Lösung — nie und niemals

Physische Gewalt verhindert Verständigung, sie zerstört Dialog statt ihn möglich zu machen. (Verhinderung statt Ermöglichung). 

Aber genauso gilt das für strukturelle oder politische Gewalt — also die Gewalt, die durchs gesellschaftliche System, durch Ausgrenzung, Diskriminierung, Ungleichheit oder Machtmissbrauch entsteht. Auch sie ist nicht akzeptabel: Sie verletzt Menschen, sie untergräbt das Vertrauen, sie verhindert echte Lösungen. 

Gewalt — in welcher Form auch immer — ist nirgends und niemals eine Lösung.

Echte Lösungen findet man nur dort, wo Menschen demokratisch miteinander im Austausch sind, wo gegenseitige Achtung und Respekt herrschen — auch gegenüber politischen Gegner*innen. Es braucht Räume des Gesprächs, der Debatte, des Zuhörens. Dort kann Vertrauen entstehen; dort kann Demokratie leben; dort kann Wandel im besten Sinne — stattfinden.

Leider scheint dieser Respekt
— gerade von manchen Politikerinnen und Politikern
gegenüber dem Volk —
verloren gegangen zu sein. 

Besonders auffällig finde ich das bei Parteien, die traditionell rechts eingeordnet werden: Bei der AfD, aber bedauerlicherweise auch bei Teilen der Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU). 

Wenn politische Führung ihre Legitimität nicht mehr
im Dialog mit der Bevölkerung sucht, 
sondern in Macht, in Polarisierung,
in Provokation — dann hat das
demokratische Prinzip Schaden genommen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Was tun in einer politischen Welt, in der etwa eine grüne Partei — oder irgendeine andere — manchen als „zu extremistisch rechts“ erscheint? Wenn das alte Links-Rechts-Schema nicht mehr greift, dann hilft vielleicht die neue Wahrnehmung: Man kann fragen: Ist diese Partei — oder diese politische Richtung — dem Leben zugewandt? Achtet sie auf Menschen, auf Gemeinschaft, auf demokratische Werte? Oder verfolgt sie Ziele, die spalten, ausschließen, Macht über Mitgefühl stellen? Solche Fragen — ethisch, menschlich, reflektiert — sind meist passender als sture ideologische Labels.

Dabei muss klargestellt werden:
Demokratie ist nicht perfekt
— sie ist das, was wir haben,
und das Beste, was real
als Staatsform umsetzbar ist

Alles andere — autoritäre Systeme, Diktaturen oder extreme Ideologien — treiben die Gesellschaft in Radikalismus und letztlich in faschistische Gewalt. Und das sollten wir als Menschen niemals wollen. Demokratie mag Fehler haben — aber sie bietet die Chance auf Mitbestimmung, auf Respekt, auf Veränderung durch Dialog. Wer diese Chance ablehnt, der öffnet Tür und Tor für Gewalt, Spaltung und Menschenverachtung.

Deshalb ist es an uns — als Bürgerinnen und Bürger, als Gemeinschaft — wachsam zu sein: Fürchten wir nicht Labels, sondern fragen wir nach Haltung; fragen wir nach Mitmenschlichkeit, nach Gerechtigkeit, nach Respekt. Und wählen wir den Weg des Dialogs, der Vernunft und der Hoffnung — immer und überall.

2025-12-01

Ein System - das den Menschen aus den Augen verloren hat

Deutschland steht vor einem Problem, das nicht nur strukturell, sondern tief kulturell verankert ist.  Es betrifft die Art, wie Verwaltung, ...